Dieser Artikel erschien zuerst in WTR Daily, Teil von World Trademark Review, in der Ausgabe Oktober 2024. Für weitere Informationen, siehe www.woDieser Artikel erschien zuerst in WTR Daily, Teil von World Trademark Review, in der Ausgabe Februar 2025. Für weitere Informationen, siehe www.worldtrademarkreview.com
- Artikel 7 der Verordnung 207/2009 (jetzt Verordnung 2017/1001) schreibt keine bestimmte Reihenfolge für die Prüfung der absoluten Schutzhindernisse vor.
- Die Begriffe „Zeichen“ und „Marken“ in den Artikeln 4 und 7 haben dieselbe Bedeutung.
- Artikel 72(3) der Verordnung 2017/1001 erlaubt es dem Gericht der Europäischen Union nicht, eine Entscheidung auf der Grundlage von absoluten Schutzhinder-nissen zu treffen, die nicht von der Beschwerdekammer geprüft wurden.
Am 23. Januar 2025 fällte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) sein Urteil in der Rechtssache C‑93/23 P.
Hintergrund
Am 1. September 2016 reichte das Schweizer Unternehmen Neoperl AG einen Antrag auf Registrierung des folgenden Zeichens als EU-Marke für Waren der Klasse 11 ein, speziell für „sanitäre Einlagen, insbesondere Belüftungsdüsen und Durchflussregler“, das als „Positions-Touch-Mark“ beschrieben wurde:

Der Antrag wurde 2019 von der Widerspruchsabteilung aufgrund formaler Hindernisse gemäß den Artikeln 26(1)(d) und 41(4) der Verordnung 207/2009 (jetzt Artikel 31(1)(d) der Verordnung 2017/1001) zurückgewiesen, da taktile Marken im Allgemeinen nicht akzeptiert werden und der Antrag als grafisch unzureichend definiert galt. Neoperl hatte zuvor einen Vorschlag des Prüfers abgelehnt, den Antrag als reine „Positionsmarke“ umzuklassifizieren. Auf die Beschwerde von Neoperl entschied die Beschwerdekammer des EUIPO im Jahr 2021 (Rechtssache R-2327/2019-5), dass die Marke gemäß Artikel 7(1)(b) der Verordnung 2017/1001 nicht unterscheidungskräftig sei und wies die Beschwerde zurück. Der Beschwerdekammer befasste sich dabei nicht mit den von der Widerspruchsabteilung vorgebrachten Gründen.
Klage vor dem Gericht der Europäischen Gemeinschaften
Am 10. August 2021 legte Neoperl Klage beim Gericht der Europäischen Gemeinschaften ein, gestützt auf zwei Gründe:
- Die Beschwerdekammer habe Artikel 7(1)(b) verletzt, indem diese fälschlicherweise beurteilte, dass die Marke nicht unterscheidungskräftig sei, ohne die spezifischen Merkmale der Marke zu berücksichtigen; und
- Die Kammer habe nicht ausreichende Beweise für ihre Annahme vorgelegt, dass die Marke nur einen minimalen taktilen Unterschied im Vergleich zu einer typischen Struktur aufweise.
In diesem Fall T-487/12 prüfte das Gericht der Europäischen Gemeinschaften die materiellen Rechtsvorschriften der Verordnung 207/2009 und stellte fest, dass die Marke nicht die Anforderungen an die grafische Darstellbarkeit gemäß Artikel 4 erfüllte, was zu einer Zurückweisung gemäß Artikel 7(1)(a) führte. Die Entscheidung des Beschwerdekammer wurde daher aufgehoben, da die Kammer die Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7(1)(b) nach Ansicht des Gerichts der Europäischen Gemeinschaften nicht hätte prüfen dürfen.
Gegen dieses Urteil legten sowohl das EUIPO als auch Neoperl beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Berufung ein und argumentierten, dass das Gericht der Europäischen Gemeinschaften seine Zuständigkeit gemäß Artikel 72(3) der Verordnung 2017/1001 überschritten habe, indem es sich mit neuen materiellen rechtlichen Aspekten der Markenanmeldung befasst habe, anstatt ausschließlich die Gründe der Klage von Neoperl zu überprüfen. Weiterhin wurde geltend gemacht, dass das Gericht der Europäischen Gemeinschaften fälschlicherweise angenommen habe, dass die Prüfung der grafischen Darstellbarkeit gemäß Artikel 4 eine „Vorfrage“ für die Frage der erforderlichen Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7(b) sei. Neoperl beantragte zudem, den Fall an die Beschwerdekammer zurückzuverweisen, um eine erste Prüfung der Artikel 4 und 7(1)(a) vorzunehmen.
Urteil des EuGH
Der Fall vor dem EuGH betraf die Auslegung und Anwendung der absoluten Schutzhindernisse gemäß der früheren Verordnung 207/2009 sowie die Verfahrensvorschriften der Verordnung 2017/1001. Der EuGH stellte fest, dass die verschiedenen absoluten Schutzhindernisse nach Artikel 7(1) (z. B. Unterscheidungskraft und grafische Darstellbarkeit) unabhängig und gleichzeitig geprüft werden können. Daher ist die
Beschwerdekammer grundsätzlich frei, die Frage der Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7(1)(b) vor oder ohne Berücksichtigung der grafischen Darstellbarkeit gemäß Artikel 7(1)(a) zu prüfen. Es gebe keine vorgeschriebene Reihenfolge gemäß Artikel 7. Zudem sind die Begriffe „Zeichen“ und „Marke“ in den verschiedenen Absätzen von Artikel 7 als austauschbar und synonym zu verstehen. Infolgedessen stellte der EuGH fest, dass das Gericht der Europäischen Gemeinschaften einen Rechtsfehler begangen habe, indem es der Beschwerdekammer dafür kritisierte, dass diese nicht zunächst die (mangelnde) grafische Darstellbarkeit gemäß den Artikeln 4 und 7 geprüft habe.
Der EuGH merkte weiter an, dass das Gericht der Europäischen Gemeinschaften nicht ordentlich auf seine Befugnis zur Änderung gemäß Artikel 72(3) hingewiesen hatte, sondern schlicht die Entscheidung der Beschwerdekammer aufhob und Artikel 7(1)(a) selbst prüfte, anstatt Artikel 7(1)(b) zu überprüfen. Die grundlegende Änderungsbefugnis gemäß Artikel 72(3) erlaubt es dem Gericht der Europäischen Gemeinschaften jedoch nicht, absolute Schutzhindernisse zu prüfen, die die Beschwerdekammer zuvor nicht berücksichtigt hat. Artikel 72 erlaubt es dem Gericht der Europäischen Gemeinschaften lediglich, eine andere Schlussfolgerung zu ziehen, die auf den in der Entscheidung der Beschwerdekammer angefochtenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen basiert.
Infolgedessen hob der EuGH das angefochtene Urteil auf und verwies den Fall zur weiteren Prüfung an das Gericht der Europäischen Gemeinschaften, da dieses keine tatsächlichen Feststellungen getroffen habe, die für die Beurteilung der von Neoperl vorgebrachten Angriffe erforderlich gewesen wären.